In der Sprache, die sie verstehen

Wer in Deutschland lebt, muss mit ihnen leben. Mit den Ämtern. Ohne sie wäre alles viel schöner, einfacher vor allem. So zumindest die landläufige Meinung. Lange Wartezeiten, unfreundliche Beamte und vor allem Inkompetenz lehren einem das Fürchten vor dem Gang zum Amt. Alles Lüge. Wirkliche Schuld an den Wartezeiten und allem anderen haben nicht die Ämter, sondern die Bürger.

Bürgeramt Pankow, Rathaus, Breite Straße. Kur nach 9 Uhr. Ich geh hinein, frage am Infotresen nach dem Weg, ziehe eine Wartenummer. Es ist die 132, auf der aktuellen Anzeige leuchtet die 128 als letzte Nummer. Also noch drei vor mir, sollte schnell gehen. Ging es dann auch. Aber zwischenzeitlich spielten sich Dramen ab.

Zuerst kam eine Frau, Mitte 20. Sie erfuhr am Infotresen, dass sie sich eine Nummer ziehen und dann im Wartsaal Platz nehmen soll. Direkt neben der Tür hängt ein Wartenummerndruckundauswurfautomat, oder wie das Teil auch immer heißen mag. Ein dicker, fetter, roter Pfeil zeigt auf eine Taste: HIER NUMMER ZIEHEN. Die junge Frau guckt etwa drei Minuten lang den Automaten an. Von oben, von der Seite, von unten. Dann drückt sie auf verschiedene Stellen: Auf das Schloss an der Seite, auf ein schwarzes Feld in der Mitte, auf ein Scharnier, und auf noch etliche andere Stellen. Nur nicht auf die Taste, worauf der dicke, fette, rote Pfeil zeigt. Die Warteschlange derer, die sich eine Wartenummer ziehen wollen, wird inzwischen immer länger.

Der Mann hinter der jungen Frau zeigt ihr dann, wo sie draufdrücken muss. Da sie es scheinbar immer noch nicht kapiert hat, nimmt ER sich den ausgedruckten Schein mit IHRER Wartenummer. „Eh, dit is aba meine Nummer“, kreischt darafhin die Frau. „Wat kann ick dafür, dat sie zu doof sind“, erwidert der Mann. „Na hörnse ma, dit muss ick mir nich jefalln lassen. Jebense mir jefällichst die Numma.“ Der Mann gibt ihr die Nummer und zieht sich, per Druck auf die Taste mit dem dicken, fetten, roten Pfeil, eine nächste Wartenummer. Die Frau geht. Nicht aber in den Wartesaal, wo an der Wand die Anzeigetafel hängt. Wo demnächst auch ihre Nummer erscheinen wird. Die Frau geht in Richtung der Bürgerbüros und klopft an eine der erstbesten Türen. Weil dort keiner antwortet, geht sie weiter und verschwindet aus dem Blickfeld.

Auf der Anzeigetafel leuchtet indessen die Nummer 131, eine vor meiner. Doch das Blinken der Anzeige scheint im Wartesaal niemanden zu interessieren. Die wenigen, die da sind, gucken auf dem neuen Flachbildschirm an der Wand ntv. Das Deutsche Fußballfrauenteam wird gerade gefeiert. Durch Zufall entdecke ich, dass der Herr neben mir die 131 hat. „He, Sie sind dran“, sage ich und tippe ihn leicht auf die Schulter. Er sieht sich sichtlich genervt nach mir um und sagt: „Was Du von mir wollen? Bin isch dran? Was bin isch dran? Du Problem?“ Ich wiederhole noch einmal: „Ihre Nummer leuchtet da oben, Sie können jetzt ins Zimmer 58 gehen.“ Doch der Mann (mit südlichem Akzent, um es politisch korrekt auszudrücken), kümmert sich nicht um mich oder seine Nummer. Er glotzt weiter ntv.

Nun gut, denke ich, dann bin ich ja gleich dran. Und dann leuchtet sie auch schon auf, die 132. Ich will gerade aufstehen, da drängelt sich Mister „Bin isch dran“ an mir vorbei und geht vor mir in die 58. Um ein paar Sekunden später wieder herauszukommen. „Scheise hier, alles scheise hier“, brabbelt er vor sich hin und drängelt sich wieder an mir vorbei. „He, was kann ich denn dafür“, frage ich ihn und ernte folgende Antwort: „Meine Familie isch, Du kannst nisch, meine Familie und isch, dann Du sehen wirst.“

Okay. Ich bin dran, geh rein und bin schon nach drei Minuten wieder draußen. Mit allen Formularen, die ich wollte. Auf dem Weg nach draußen sehe ich eine Traube Menschen vor dem Wartenummernautomat stehen. Lautstark wird diskutiert, ob man denn nun eine Nummer braucht oder nicht, wer denn zuerst dagewesen sei und ob es sich überhaupt noch lohne, eine Nummer zu ziehen.

Während im Wartesaal schon Nummern blinken könnten, die noch gar nicht gezogen sind. Denn der ist fast leer. Nur die junge Frau, die vorhin weder die Taste noch den Wartesaal gefunden hat, sitzt und wartet. Ich gehe lieber und denke mir: Vielleicht sollte man es wieder so machen wie früher. Ein Schalter, eine Schlange, und ein Beamter, der die Sprache spricht, die sie verstehen: Der Nächste Bitte!

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Bürgeramt Pankow: Nummer verpasst weil ntv geglotzt.

4 Kommentare zu “In der Sprache, die sie verstehen

  1. cat: Dazu sollte man aber etwas Deutsch können und wissen, wie ein Telefon funktioniert. Desweiteren sollte man in der Lage sein, zum besprochenen Termin zu erscheinen. Aber das spreche ich allen Bürgern ab, die an jenem Tag im Amt waren.

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  2. hier mal eine kleine exklusivinfo für alle, die auf den beschriebenen spaß gern verzichten: man kann im bürgeramt auch anrufen. so man das denn zu den angegebenen sprechzeiten tut, wird eine mehr oder weniger freundliche dame einem einen termin geben, zu welchem man dann, wie besprochen, erscheint. vorbeimarschierend an wartenden, diskutierenden, dummen und glotzenden betritt man den zuvor genannten raum, erledigt, was zu tun ist, um den vorhof der hölle nach wenigen minuten wieder entspannt zu verlassen.

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  3. Was für ein ausgeklügeltes System ihr in Deutschland aber auch habt! In Österreich sind wir wartemäßig leider noch in der Steinzeit: Da wartet man einfach, bis man an der Reihe ist. Hoffentlich kann die EU dieses tolle Nummernsystem auch bei uns einführen! Zeit wäre es.

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  4. Es handelte sich bei der Bemerkung unseres Mitbürgers aus Südland sicher um ein verschlüsseltes Dialogangebot.

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