Jürgen und der chilenische Bio-Apfel

Es ist Samstag, ein Bioladen in Prenzlauer Berg. Gut besucht. Kunden aller Berliner Schichten. Die Öko-Mutti, der Manager-Schnösel, Kalle von umme Ecke, Wilmersdorfer Witwen. Und er. Oder ihm. Oder seine Majestät. Latzhose, John-Lennon-Nickelbrille, Jesuslatschen, Strickpullover, Brustbeutel. Die selbstgedrehte, schon einmal angezündete und wieder ausgemachte, Zigarrette hinterm Ohr. Mann, der hat verdammt viele Jahre verpennt. Und den Wecker nicht gehört. Noch nie. Nennen wir ihn Jürgen.

Jürgen jedenfalls steht vor den Äpfeln. Bio-Äpfel aus der Mark Brandenburg, aus dem Alten Land. Und angebliche Bio-Äpfel aus Chile. „Ist hier zufällig jemand zuständig?“, ruft Jürgen und zieht konsterniert den Schnodder in seiner Hakennase laut hörbar hoch. „Ick würde nämlich jern mal wissen, wieviele Tonnen Kerosin so´n Apfel aus Chile auf dem Jewissen hat!“ Einige Kunden starren Jürgen an, Jürgen starrt zurück. Nur ein „Zuständiger“ lässt sich nicht blicken.

„Übalejen se mal. Der Apfel fällt in Chile vom Baum. Chile, det ist eenmal um die janze Welt“, sagt Jürgen. „Und denne wird der Apfel mit dem Elkawee zum Hafen jefahrn. Bestimmt sind det alleene schon hunderte Kilometer. Und denne steht der Apfel da im Hafen in Kisten rum und wartet uff det nächste Schiff.“ Jürgen greift in die Kiste mit den chilenischen Früchten, nimmt einen gelben Apfel in die Hand. „Gucken se ma hier. Dit sieht ma den Apfel schon an. Total blass isser. Det kommt von die Reifung uff dem Schiff. Der chilenische Apfel an sich darf nämlich nicht am Baum reifen, sondern muss ditte uff der Übafahrt nach hier.“

„Schlimm. Schlimm is dit mit die janze Bio-Beschiss“, pflichtet ihm eine Kundin bei (Mitte 30, die Haare zu Schulmädchen-Zöpfen geflochten, langer brauner Strick-Rock, T-Shirt mit Fuck-of-Aufschrift und ausgewaschener Jeansjacke darüber). Sie hat ein Kleinkind auf dem Arm und schiebt einen Einkaufswagen vor sich her mit zwei Sellerie-Wurzeln, Roter Beete und Zwiebeln von einem regionalen Öko-Bauernhof sowie drei Flaschen australischem Bio-Wein (selbstverständlich kontrolliert ökologischer Anbau!). „Dit sach ich ihnen“, sagt Jürgen und sieht sich nach einem „Zuständigen“ um.

Doch ein solcher lässt sich weiterhin nicht blicken. Grund genug für Jürgen, nochmal die Geschichte des chilenischen Bio-Apfels auf seiner Reise nach Deutschland aufzugreifen. „Und denn fährt dit Schiff ewich lang über die Weltmeere. In der Schiffs-Schraube sterben Delphine, seltene Schildkröten und die janzen andren Meeresbewohner. Ja kommt hier nun ma jemand Verantwortlicher für dit Janze?“, fragt Jürgen noch einmal etwas lauter in Richtung der Kassen. Doch die haben andere Sorgen, der Laden wird gerade richtig voll.

Jürgen resigniert. Er geht zu den Kisten mit den Bio-Äpfeln aus der Mark Brandenburg. „Wat solln die kosten? Sechs Euro? Nee, dit zahl ick nich für Äppel.“ Jürgen stöbert in den Kisten mit den Früchten aus dem Alten Land. „Die sind ja noch teurer. Nee, dit kommt mir nich inne Tüte!“ Jürgen schlendert zurück. Er brabbelt etwas Unverständliches vor sich hin. Dann sieht er sich mehrmals um, greift sich schließlich eine Bio-aus-Altpapier-Tüte und packt vier Äpfel hinein. Vier Äpfel aus Chile. „Zwee fuffzich. Dit ist doch mal Preis. Wie die dit nur machen, bei dem weiten Wech…“

5 Kommentare zu “Jürgen und der chilenische Bio-Apfel

  1. Das ist Bullshit. Während zwei Jahren Mitarbeit im Biogroßhandel bin ich eines Besseren belehrt worden. Kannste alles in die Tonne kloppen. Ökobilanzen interessieren den Biohandel schon lange nicht mehr. Bei Terra & Co. gehts um Profite wie in jedem anderen Betrieb in der Marktwirtschaft. Außerdem: Ein Apfel aus Chile war länger im Kühlhaus, als es ein deutscher je schaffen wird. Allein auf See ist der Apfel 30 Tage zum reif werden in der Kammer. Plus minimum 30 bis 50 Tage in Chile, wo die grünen Früchte vorreifen. Plus etwa 20 Tage in Deutschland. Wenn das reicht. Plus Lagerzeit am Ernetort. LKW zum Hafen in Chile. Plus Lagerzeit am hafen in Chile. Plus LKW von Hamburg/Rotterdam oder wo auch immer nach Berlin. Plus LKW Auslieferung Berlin. Natürlich gibt es auch „Flug-Äpfel“ aus Chile, die sich ein paar Wochen Lagerhaus sparen. Aber über die Ökobilanz eines Flugapfels müssen wir wohl nicht diskutieren…

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  2. Ein chilenischer Bio-Apfel im Frühjahr in Deutschland gekauft hat eine bessere Ökobilanz als ein im Herbst geernteter Apfel aus Deutschland der dann den ganzen Winter im Kühlhaus gekühlt wurde. Außerdem enthält er wahrscheinlich mehr Vitamine!

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  3. Pingback: Einhunderttausend | berlinpankowblogger

  4. weil sie ganz, ganz viele äpfel auf einmal verschiffen. und der anteil der transportkosten, der auf denen einzelnen fällt, damit nur noch bei ein paar cent liegt. deutsche krabben aus der nordsee werden nach marokko gefahren und dort ausgepuhlt. zum verzehr bringt man sie dann wieder nach deutschland zurück. ist billiger, als deutsche puhlen zu lassen.

    aber jürgen hätte bestimmt eine idee, wie man das eine bekommt, ohne das andere zu tun. mir fällt da nichts ein

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